Erschreckend, aber wahr: Am Ende ihrer Grundschulzeit können viele Kinder nicht schwimmen. Die Ursachen für diesen Missstand sind vielfältig. Sie reichen vom Ausfall des Schwimmunterrichts in der Corona-Pandemie bis hin zu wachsenden motorischen Defiziten bei Kindern.
„Da müssen wir etwas tun!“, beschlossen die Startgemeinschaft Essen (SG Essen) und die gemeinnützige Initiative Zukunft Bildungswerk. Mit Unterstützung der Kinderstiftung Essen machen sie in einem Schwimmkurs „zu Wasser und zu Land“ Kinder aus dem Essener Norden schon in der ersten Klasse mit dem nassen Element vertraut.
Mit zwei Fingern hält der kleine Junge sich die Nase zu, dann taucht er unter. „Ein riesiger Fortschritt“, sagt Jürgen Voigt von der SG Essen. „Vor einer Woche hat er sich kaum ins Wasser getraut.“ Die Grundlagen für das Schwimmen sollten im Elternhaus gelegt werden. Wenn dies nicht geschieht, sind Kinder im Grundschulalter nicht ans Wasser gewöhnt und haben sogar Angst davor. Um Abhilfe zu schaffen, vermitteln Voigt und drei weitere Trainer*innen Kindern der Maria-Kunigunda-Grundschule in Essen-Karnap jene Fähigkeiten, die sie zum Schwimmen benötigen. 30 Kinder der ersten Klassen nehmen an dem intensiven Schwimmtraining in der Alten Badeanstalt in Altenessen teil. Möglich ist dies durch die finanzielle Unterstützung der Kinderstiftung Essen; sie trägt die Personalkosten für das Training.
„Wir möchten, dass Kinder in Essen gesund aufwachsen können“, sagt Hans-Georg Adam vom Vorstand der Kinderstiftung Essen. „Dazu gehört ganz wesentlich, dass sie sich sicher im Wasser bewegen können. Zudem erfahren sie in dem Schwimmprojekt ihre Selbstwirksamkeit – das steigert ihr Selbstwertgefühl.“ Der schulische Schwimmunterricht starte erst in der dritten Klasse – zu spät, findet Adam, und Trainer Voigt pflichtet ihm bei. Dass das frühe Schwimmenlernen funktioniert, zeigen die Erfolge des Programms: Allein beim Besuch der Kinderstiftung im Bad bestehen zwei Jungen ihre Seepferdchen-Prüfung. Sie dürfen nun in den Schwimmerbereich zu den anderen „Seepferdchen“.
Das Konzept des Kurses „zu Wasser und zu Land“ hat die SG Essen vor 15 Jahren in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum entwickelt. Es sieht zunächst einige Übungsstunden in der Sporthalle vor, bei der die Kinder ihre Koordinationsfähigkeit trainieren, ihre Muskulatur stärken und Bewegungsabläufe üben. Auch die Stunde in der Schwimmhalle beginnt mit Trockenübungen zum Aufwärmen und Dehnen. Jürgen Voigt beobachtet die Kinder genau und notiert sich motorische Auffälligkeiten wie „kann nicht auf einem Bein stehen“. In Einzelgesprächen macht er die Eltern auf solche Defizite aufmerksam, damit das Kind entsprechend gefördert wird.
„Wann dürfen wir ins Wasser?“, fragt ein kleines Mädchen sehnsüchtig. Endlich ist es so weit! Die Kinder erhalten Headsets, damit sie auch unter Wasser den Anweisungen vom Beckenrand folgen können. „Vorne rühren, hinten strampeln“, erinnert Jürgen Voigt an die korrekte Schwimmtechnik. Dank eines arabischsprachigen Trainers funktioniert die Kommunikation auch mit jenen Kindern reibungslos, die noch nicht so gut Deutsch sprechen.
„Bei vielen Familien im Essener Norden ist es nicht üblich, mit den Kindern ins Schwimmbad zu gehen“, weiß Voigt. „Deshalb wollen wir gerade hier intensiv an der Schwimmfähigkeit der Kinder arbeiten.“ Die Zusammenarbeit mit der Maria-Kunigunda-Grundschule in Karnap – Kooperationsschule von Zukunft Bildungswerk – sei dafür ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus führt Zukunft Bildungswerk das Schwimmprojekt mit Kitas im Essener Norden durch. „Das entspricht unserem Ziel einer frühkindlichen Förderung“, erklärt Tanja Doczekala, Projektleiterin bei Zukunft Bildungswerk. Ob Schule oder Kita: Was letztlich zählt, ist, dass die Projektpartner an einem Strang ziehen. „Manches muss man gemeinsam anstoßen“, sagt der Schwimmexperte Voigt im Hinblick auf die fruchtbare Zusammenarbeit mit Zukunft Bildungswerk und der Kinderstiftung. „Dann ist es auch möglich, dicke Bretter zu bohren.“